Provokateur mit romantischen Zügen (Bericht: Schweiz am Wochenende)
Pierluigi Ghitti ist kein Diplomat. Der Präsident des FC Wettingen kennt keine Kompromisse. Der 55-Jährige trägt das Herz auf der Zunge. Immer Vollgas, immer direkt aufs Ziel zu! Eckt Pierluigi Ghitti mit seiner forschen, oft provokativen Art an, ist ihm das bewusst.
Ghitti ist Vollblut-Unternehmer und Vollblut-Präsident in einer Person. 2006 gründete der gelernte Bäcker-Konditormeister seinen ersten «Spitzbuebe»-Laden in Dättwil. In den vergangenen 14 Jahren kamen drei Filialen in Baden, Wettin-gen und Rütihof mit insgesamt 50 Mitarbeitern hinzu. Der jährliche Umsatz in den vier Geschäften beträgt rund 3 bis 4 Millionen Franken. «Ich bin mit dem Geschäftsgang zufrieden», sagt Ghitti. «Die Einbussen wegen der Coronakrise halten sich in Grenzen, weil wir vor allem Ladenkundschaft bedienen, einfach organisiert und einfach aufgestellt sind.
Er hat alle Höhen und Tiefen des Fussballs erlebt
Ghitti ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch ein Fussballer mit Leidenschaft. Er machte sich von 1986 bis 2011 als Schiedsrichter einen Namen, leitete Spiele in der 2. Liga, war als Assistent in der 1. Liga tätig und arbeitete als Inspizient. Seit sechs Jahren ist Ghitti Denker und Lenker des FC Wettingen. Als Präsident des Spitzenklubs der 2. Liga interregional geht er konsequent, beharrlich, ja stur seinen Weg. Der FC Wettingen ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil seines Lebens geworden. Er hat alle Höhen und Tiefen erlebt. Als Präsident durfte er 2017 den Aufstieg in die 2. Liga interregional feiern.
Ghitti hat seit seinem Amtsantritt als Präsident 2014 eine Vision: 1. Liga! Die Vision rückt näher. Nach der Vorrunde dieser Saison steht der FC Wettingen an der Schwelle zur höchs- ten Amateurklasse. «Mit dem Aufstieg würde ein Traum in Erfüllung gehen», sagt Ghitti. «Aber der Preis für den Aufstieg ist zu hoch. Der finanzielle Aufwand in der 1. Liga wäre ein Kraftakt, den wir nicht stemmen können.»
Klare Worte von Ghitti. «Ich will keine Schulden», fügt er hinzu. «Der Vereinsgedanke und das Wohl des Klubs sind mir wichtiger als der sportliche Erfolg. Früher stand die Freude am Fussball auf und neben dem Spielfeld im Vordergrund. Früher haben wir nach den Trainings und den Spielen im Vereinslokal geplaudert, diskutiert und auch mal einen Jass geklopft. Heute ist das leider vorbei. Heute streben alle nur noch nach Siegen und Erfolgen. Doch ich wünsche mir, dass Werte wie Spass und Geselligkeit in die Reihen des FC Wettingen zurückkehren.»
Ghitti machte sich schon vor der Coronakrise Gedanken über den Stellenwert des Amateurfussballs und den Sinn und Zweck der Vereine in den unteren Ligen. Während der Zwangspause im März und April wurde ihm je länger, je mehr klar, dass der unbedingte Siegeswille den sozialen Aspekt und das Gemeinwohl in den Hintergrund drängt. «Ich wünsche mir, dass Funktionäre, Spieler und Trainer, ja alle Mitglieder den Vereinsgedanken wieder aufleben lassen», sagt Ghitti.
Das ist auch der Grund, warum er in Zukunft vermehrt Talente aus der Nachwuchsabteilung fördern möchte. Die Mehrheit der ersten Mannschaft soll aus eigenen Junioren bestehen. Das würde sich positiv auf die Zuschauerzahlen in den Heimspielen auswirken. Zudem könnten die Kosten von rund 100000 Franken für den Trainerstab und die Spieler im Team der 2. Liga interregional gesenkt werden.
Er will den Unsinn als Präsident nicht mitmachen
Für Ghitti ist klar, dass sich der FC Wettingen einen Aufstieg in die 1. Liga aus finanziellen Gründen schlicht und einfach nicht leisten kann und will. «In der höchsten Amateurklasse kassieren viele Spieler fixe Monatslöhne zwischen 1000 und 1500 Franken», sagt er. «Das ist nicht der richtige Weg. Diesen Unsinn will ich als Präsident nicht mitmachen. Diese Kostenexplosion würde unser Budget von 400000 Franken für den Gesamtverein mit 20 Teams sprengen.»
Ghitti ist darum froh, dass Wettingen-Trainer Marc Hodel voll und ganz hinter dieser Vereinsphilosophie steht. «Der sportliche Erfolg ist schön und gut, aber die Ligazugehörig- keit der ersten Mannschaft steht nicht an erster Stelle», sagt Hodel. «Ich sehe den FC Wettingen als Ausbildungsverein. Mein primäres Ziel ist es, Talente zu fördern und jeden Spieler weiter zu bringen. Wenn ich Fortschritte sehe, dann hat sich meine Arbeit gelohnt.»
Was den sportlichen Bereich betrifft ziehen Ghitti und Hodel also am gleichen Strick. Zugegeben: Die Vorstellungen des Präsidenten für die Zukunft des FC Wettingen sind romantisch. Aber Ghitti wäre nicht Ghitti, wenn er nicht an Visionen glauben würde. Als Bäcker- Konditormeister hat er in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten mit der Gründung von vier «Spitzbuebe»-Läden bewiesen, dass er hohe Ziele erreichen kann. Mit dem FC Wettingen möchte er in Zukunft etwas kleinere Brötchen backen als in den vergangenen Jahren – und trotzdem Erfolg haben. Warum soll Tausendsassa Ghitti das nicht schaffen?